Stolperstein-Verlegung
Welver hat seine ersten beiden Stolpersteine. Der Künstler Gunter Demnig machte sich persönlich ans Werk, um die beiden Stolpersteine für die Eheleute Philipp und Henriette Ostwald (geb. Neuhaus) an der Stelle zu verlegen, wo die Eheleute vor mehr als 80 Jahren ihr Kaufhaus betrieben. „Damals war das hier noch die Bahnhofstraße, wir wohnten Nummer 117“, berichtet Adelheid Schröter (geb Nelle). Die 85-jährige Zeitzeugin war damals zwar selbst noch ein Kind, kann sich aber an die Eheleute noch gut erinnern. „Das waren so unglaublich nette Menschen, aber niemand sprach mit den Juden. Auch mir war es eigentlich verboten, dorthin zu gehen, aber Henriette Ostwald konnte wunderbare Geschichten erzählen, die uns als Kinder natürlich fasziniert haben.“ In der Reichsprogromnacht war das Geschäft der Eheleute Ostwald zerstört, die Stoffe mit Säure überschüttet worden. „Diesen Gestank werde ich mein ganzes Leben nicht mehr vergessen.“ Es folgte eine Zeit, in der die Eheleute immer wieder untertauchten und sich vor der Gestapo verstecken konnten, bis schließlich die Deportation nach Theresienstadt 1942 und der Tod im Vernichtungslager Treblinka, ihrem Leben ein Ende setzte.
„Für uns ist es wichtig, ein Zeichen zu setzen, gegen das Vergessen, aber auch gegen die Ideologie“, sagte Ulrike Putinas vom Beirat des Kulturvereins als Initiatorin. Mit Hilfe von Mechthild Brand (Hamm) war es nach drei Jahren gelungen, die für eine Stolpersteinverlegung notwendigen gesicherten Unterlagen zu beschaffen. „Umso mehr freuen wir uns, dass die beiden Steine jetzt als sichtbares Mahnmal im Boden eingelassen sind.“
In der kleinen Zeremonie am Marktplatz waren auch Bürgermeister Uwe Schumacher und die beiden Pastöre André Aßheuer (St. Maria Welver) und Werner Vedder (Ev. Gemeinde Niederbörde) mit dabei. Während Schumacher auch das Werk Gunter Demnigs in den Focus rückte, hatte Pastor Vedder einen jüdischen Psalm mitgebracht, den die Eheleute seinerzeit ganz sicher gebetet hatten. Auch Pastor Aßheuer mahnte zum Innehalte und Hinsehen, auch wenn unsere Zeit in steter Beschleunigung verharre. „Wie oft laufen wir hier mal eben schnell über diesen Platz, um etwas zu erledigen.“ Jetzt sei es Zeit auch mal an- bzw. innezuhalten.
Gunter Demnig verlegte im September letzten Jahres in Frankfurt den 70.000 Stolperstein, „die meisten davon, inzwischen sind wir bei rund 73.000 in 24 Ländern, habe ich selbst verlegt, doch inzwischen habe ich auch einige Helfer.“ Diese sind, wie er selbst, auch Mitarbeiter der von Demnig zwischenzeitlich gegründeten Stiftung.
Doch wer ist dieser Mann unter dem Hut, bei dem bei der Verlegung jeder Handgriff sitzt und der absolut routiniert zu Werke geht. Sein komplettes Handwerkszeug, inklusive einem Eimer mit Wasser, hat er in seinem Auto, die Arbeit kann beginnen. Die Verlegung der Steine dauert eine Viertelstunde. Und dann beginnt die kleine Zeremonie. Ernst und sehr ruhig steht er und lauscht nachdenklich. Wer behauptet, das Verlegen der Stolpersteine sei für ihn inzwischen Routine, wird spätestens dann Lügen gestraft, wenn man mit ihm ganz persönlich ins Gespräch kommt und dabei nur ein wenig in die Tiefe geht. Die Lebensgeschichten und Schicksale, die vielen unter alle Teppiche gekehrten Informationen, die er kennt, verursachen dem Zuhörer oftmals Gänsehaut, und auch er selbst ist sichtlich mitgenommen. Die Brutalität und Grausamkeit des Nazi-Regimes gehen also natürlich nicht spurlos an dem 1947 in Berlin geborenen Künstler vorbei. Wer Steine für eine jüdische Mutter und ihre fünf Kinder, für Behinderte, die einfach im Weg waren oder für junge Gendarmen, die sich weigerten Juden-Verstecke preiszugeben, verlegt, der ist betroffen und sieht diese Menschen vor sich.
Umso wichtiger sei es für ihn, weiterzumachen: „Meine Arbeit ist noch lange nicht beendet“, sagt er und lächelt. Und auch wenn er sich schnell wieder auf den Weg zum nächsten Termin machen muss, hat er sich hier für Henriette und Philipp Ostwald Zeit genommen. Für die Verlegung ihres Stolpersteines, für Gespräche und Fragen der gut 35 Anwesenden, die in Welver dabei waren.
„Unser Dank gilt neben Gunter Demnig, der Zeitzeugin und den beiden Pastören ganz besonders der Gemeinde Welver, vertreten durch Bürgermeister Uwe Schumacher, die uns bei unseren Vorhaben jederzeit unterstützt und geholfen haben. Bei unseren Recherchen haben wir immer wieder festgestellt, dass dies keine Selbstverständlichkeit ist, denn das Thema ist immer noch für viele ein Tabu“, so Putinas. Putinas selbst erinnert sich noch gut an den sogenannten „Judenbau“, den Rohbau von Ostwalds neuem Geschäft, für das an der ehemaligen Molkerei zunächst eine Baugenehmigung erteilt, diese aber 1937 unter fadenscheinigen Gründen entzogen worden war. „Mit dem Bombenkrater daneben war das verfallene Gebäude bis in die 60er Jahre für uns als Kinder mehr als unheimlich, aber darüber gesprochen wurde nicht so viel, wie darüber geschwiegen.“
Gut, dass dieses Tabu jetzt mit zwei Stolpersteinen gebrochen, das Dunkel ein bisschen erhellt und damit sichtbarer geworden ist. Quellen: Fotos: SGH, Text: Soester Anzeiger